Zwischen den Säulen des Herkules

Kein Wunder, dass die Altvorderen die Straße von Gibraltar als das Ende der Welt betrachtet hatten. Auch wir kommen nicht durch, bleiben gefangen am westlichen Ende des Mittelmeers.

 

Als wir das erste Mal nach Gibraltar kamen, hatte der Wetterfrosch Westwind Stärke  1-2 angesagt. Durch den Tunneleffekt in der Strait wehten am östlichen Ende eher 4. Das war aber nicht schlimm, denn die Strömung war mit uns. Pigafetta schlug sich tapfer, hob emsig das Köpfchen und spaltete die heranrollenden Wellen elegant in der Mitte. Gischt wirbelte zu beiden Seiten des Schiffes, wir wurden nicht einmal nass. Nach drei Stunden Wellen spalten, liefen wir locker auf der spanischen Seite der Bucht ein und ankerten in NW von Gibraltar.

Nach einer guten Woche waren wir allerdings durch mit dieser englischen Exklave und freuten uns auf Neues.  Der Westwind (Poniente) und zwei Tage Ostwind (allerdings mit Stärke 7-8) ermöglichten jedoch wenig, höchstens einen Ausflug nach Süden. So segelten wir nach Ceuta, eine der beiden spanischen Exklaven an der marokkanischen Nordküste.

Alles lief super, die 13 Seemeilen waren ein netter Törn. Wir umfuhren das sehr lebhafte Verkehrstrennungsgebiet östlich. Als Hamburger haben wir den Respekt vor großen Pötten quasi mit in die Wiege gelegt bekommen und weichen, ohne zu murren. Das AIS ist übrigens bei erhöhtem Verkehrs-aufkommen ein tolles Hilfsmittel, zusätzlich zum Radar. Das ständige Peilen der Pötte, flinke Berechnungen, ob oder nicht Kollisionskurse vorliegen, werden souverän vom AIS übernommen. Es zeigt auf Anhieb Namen, Ziel, Kurs und Geschwindigkeit der anderen Schiffe, außerdem wann und in welcher Entfernung wir uns nahe kommen.

Für den Rückweg aus Ceuta hingegen haben wir für die gleiche Strecke viermal so lange gebraucht. Nanü?!! Der DWD hatte SSW 0-2, ab mittags SW 2-3 angesagt und Windfinder verkündete W 2-3. Doch am Morgen zogen schon etliche Windwolken am Himmel entlang. In der geschützten Marina wehte nur eine leichte Brise, aber im kommerziellen Ceuta Port waren es 3 Bft. Draußen deutlich mehr: Gischt auf brechenden Wellenkämmen, tja, das sieht nach 6 aus! Wir hatten eher zufällig unsere selbstwendende Baumfock angeschlagen, perfektes Timing. Und die Strömung soll für die nächsten Stunden auf unserer Seite sein, na, dann ist doch alles gut. Wir hissen die Fock – och, nur 2,5 Knoten. Also hoch mit dem Besan, jetzt sind es schon 4 kn…. Aber nicht nach Norden gen Gibraltar, sondern nur Fahrt über Grund nach Osten! Ganz egal, was wir mit den Segeln anstellen, wir schieben quer zum Kurs – ganz als lägen wir beigedreht.

Rätselstunde: die Fock schafft nicht genug Vortrieb, aber für die große Genua ist es zu windig. Der Yankee wäre jetzt super, aber der ist abgeschlagen. Warum macht der Strom an der afrikanischen Küste eigentlich nicht, was er soll. Ja, warum nicht? Im Handbuch stehen die vorherrschenden Strömungsrichtungen in Relation zum Hochwasser, außerdem der Zusatz: „Überraschungen werden nicht ausgeschlossen.“ Ja, ist denn ausgerechnet heute Überraschungstag? Oder haben wir das Hochwasser falsch abgelesen? Im Ceuta Marina Büro wusste überhaupt niemand, in welcher Zeitzone wir uns befinden. Ganz schön peinlich, oder? Marokko gehört zur Zone UTC+ 0. Ein englischer Segellehrer mit Ausbildungscrew betonte, Ceuta gehöre zu Spanien, also UTC-1. Moment mal, dann meint der wohl UTC+1, bzw. weil Sommer ist eigentlich UTC+2 ? Außerdem, so der Engländer, hätte Marokko die Uhr eine Stunde vorgestellt, weil Ramadan sei, also für uns UTC+1. Doch die Admirality setzt für Ceuta grundsätzlich UTC+0 an, halt wie Marokko ohne Ramadan. Tja, UTC hin oder her, Ramadan und andere Fastenzeiten rauf oder runter, kommt die  Westströmung jetzt noch, oder was? Außerdem müssen wir uns auch um den Schiffsverkehr kümmern….

Das tun wir und treiben ganz nebenbei immer weiter gen Osten. Auf Kanal 16 erklingen die ersten marokkanischen Stimmen. Vielleicht sollten wir höflichkeitshalber diese Gastlandsflagge zur spanischen setzen? Die Abdrift nervt. Es ist als klebten wir zwischen den Säulen des Herkules, die trotz diesiger Sicht an beiden Seiten von uns hübsch voraus liegen. Ich schlage vor, wir suchen uns ein neues Ziel im Osten, vielleicht Malta? Doch Kalle ist ein Widder. Die Segel werden geborgen und der Motor soll es richten. Wir brettern gegen Wind, Wellen und Strom – stundenlang und erobern uns 1-2  (später mehr) Seemeilen in der Stunde an Grund zurück. Wellen brechen über das ganze Schiff, das Doghouse hält uns trocken. Delfine finden uns total langweilig mit unserer Kriecherei und flitzen fix vorbei. Unser Hab und Gut im Inneren des Schiffes geht auf Wanderschaft. Alles, was nicht angenagelt ist, geistert durch den Salon, mal nachschauen, ob es auf der anderen Seite grüner ist. Nein, ist es nicht. Auch Tassen und Teller randalieren in den Schapps herum. Jetzt bloß keine Türen aufmachen, das springt einem alles höchstens ins Gesicht. Wenigsten sind Kamele kein Thema, wir beide sind zum Glück seetauglich.

Der Nachmittag dehnt sich ins Unendliche… Im VHF erklingen bald wieder mehr spanische und englische Stimmen. Tarifa verkündet jetzt W 4-5, wir sitzen auf der anderen Seite des Tunnels, bleiben also unbedingt bei 6-7. Die erste PAN PAN Meldung (assistance needed) rauscht auf Kanal 16: Ein Dingi mit drei Leuten ist aufs Meer abgetrieben worden. Das Gebiet wird grob angegeben und liegt deutlich NE von uns, irgendwo bei Marbella. Ein Hubschrauber kreist in NE am Himmel. Kurz vor der Dämmerung kommt die nächste PAN PAN Meldung aus Tarifa und Malaga vom Traffic Controll Centre: „Man overboard!“ Auch hier wieder eine grobe Standortbestimmung, die für uns unerreichbar ist. Die gleiche PAN PAN Meldung wird 15 Minuten später wiederholt. Ein Rettungskreuzer verlässt Gibraltar.

Himmel und Wellen verlieren langsam ihr Blau, ergrauen. Schattierungen schlucken Licht, Übergänge schwinden … und da draußen schwimmt jemand um sein Leben und wird mit jeder Minute unsichtbarer. Das ‚Person über Bord’ – Manöver war bei allen Prüfungen und Übungstörns immer am wichtigsten. Ewig wurden Fender ins Wasser geworfen und unter Motor oder Segel möglichst flott wieder an Bord geholt. Ich mochte vor allem die Q-Wende, hat Spaß gemacht. Nasskalt brüllt die See uns ins Gesicht: „Willkommen in der Realität.“ Stumm krachen wir durchs Wasser, Gibraltar ist für uns zum Greifen nah.

Wir durchqueren die Bucht von Gibraltar. Häuser, Straßen und Bars erstrahlen im Glanz ihrer eigenen Lichter, die Ocean Village Partymeile feiert sich selbst. Die auf Reede liegenden Containerschiffe und Tanker sehen ein bisschen wie geschmückte Weihnachtsbäume aus. Hochglanz auch in den Raffinerien und an den Ufern. Die Leuchtfeuer sind schwer auszumachen in diesem allgemeinen Gefunkel. Düster hingegen die kleine Bucht von La Linea. Zehn Segler ankern, nur drei haben ein Ankerlicht gesetzt. Wie Geisterschiffe erscheinen die unbeleuchteten knapp vor unserem Bug, ihre Rümpfe schwach erkennbar. Der Mond hilft heute Nacht nicht, die winzige Sichel am Himmel hat keine Kraft. Unser Anker fällt. Schwimmt der Überbordgegangene noch? Wir hoffen inständig, dass sie ihn gefunden haben!

PS: Für die Segelexperten: Wir hätten ab Ceuta an der Küste entlang, in der Abdeckung, gen Westen fahren, dann die kürzeste Strecke über das Verkehrs-trennungsgebiet nach Gibraltar nehmen müssen – genau die Route der Schnellfähren. Im Bild ersichtlich (6 h nach HW in Gibraltar): So hat es sich angefühlt, auch wenn wir nicht um die Zeit dort waren. Vermutlich wurden wir trotzdem NE von Ceuta vom Gegenstrom erfasst.

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2 Antworten auf Zwischen den Säulen des Herkules

  1. Sharleena sagt:

    I just hope whoever writes these keeps wriitng more!

  2. Alícia sagt:

    information was very great to read.

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